Die Sanierung von 1914

Auf der Postkarte von 1917 hat man einen schönen Blick auf das Rentamt mit seinen Anbauten. Alles erstrahlt in neuem Glanz und das bis zur Sanierung verputzte Fachwerk ist freigelegt und frisch gestrichen. Auch der Gemminger Beobachter vom 20. Juli 1914 ist voller Bewunderung für die Maßnahme und rühmt die Renovierung – wahrscheinlich dem Gedankengut des sich in diesen Jahren ausbreitenden Heimatschutzstils in der Architektur verbunden – als Beispiel für die „Erhaltung und Förderung unserer heimatlichen Bauweise“. Die Architektur des Rentamts und seine Renovierung werden damit dezidiert antimodernistisch interpretiert und in der regionalen Handwerkskunst, Formensprache und Materialienverwendung verankert. Die Maßnahme von 1914, am Vorabend des die überkommene politische und soziale Ordnung hinwegfegenden Weltkriegs, kann also durchaus auch als steingewordenes Statement gegen das Gedankengut einer disruptiven, allmählich aus den großen Städten auf das Land übergreifenden Moderne gesehen werden.

Neu hinzugekommen ist der Turm, der vom Gemminger Unterschloss aus gesehen die durch den Anbau von 1717 gestörte Symmetrie der Fassade – ein wichtiger Aspekt der Herrschaftsrepräsentanz im Barock – wiederherstellt. Unterschloss und Rentamt waren zur Bauzeit durch eine Sichtachse verbunden, die nicht nur einen reizvollen Ausblick vom Sitz der Herrschaft aus bot, sondern mit einem Blick aus dem Fenster im Schloss auch eine gewisse Kontrolle des Besitzes mit der wichtigen Zollstraße ermöglichte. 1717 war nämlich – nur ein halbes Jahrhundert nach dem Bau des Gebäudes eine erste Erweiterung vorgenommen worden, die das Rentamt um eine Fensterachse nach (im Bild hier) links erweitert hat. Auffällig ist, dass offensichtlich hier schon ein gewisses Bewusstsein für den historischen Wert des Gebäudes bestand. Man legte das offensichtlich als Sichtfachwerk angelegte Tragwerk mit seinen Zierelementen (wieder?) frei und glich den neu erbauten Turm optisch an den Bestand an.

Durch die Erweiterung des Rentamtes von 1717 veränderte sich die Statik des Gebäudes wesentlich. Dies wurde aber von der damaligen Tragwerksplanung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Die bis dahin symmetrische Lastabtragung über die Außenmauern wurde gestört, weil die ursprüngliche Außenwand abgebrochen und ca. 3 Meter nach Norden versetzt wurde. Durch die zwangsläufig asymmetrische Vergrößerung der Dachfläche – auf einen kompletten Neuaufbau des Dachstuhls hatte man wohl aus Kostengründen verzichtet – lastete ab nun ein deutlich höheres Gewicht auf der neu errichteten Außenwand, die sich folgerichtig und noch heute erkennbar sukzessive nach außen lehnte und dadurch das hölzerne Tragwerk im Gebäudeinneren auseinander zog. Dadurch lastete zusätzliches Gewicht auf den wohl auch jetzt neu eingebauten Schornsteinen, das auf den Scheitel des Gewölbekellers drückte und hier ebenfalls zu Verformungen führte. – Ein schleichender Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckte und mit damaligen Mitteln wohl nicht aufzuhalten war.

Bei der Sanierung von 1914 hat man das Grundproblem wohl erkannt und erste Eisenträger zur Stabilisierung des Gebäudes im Dach verbaut und mit hölzernen Überzügen die sich nach außen lehnende Wand der Hauserweiterung zu stabilisieren versucht. Von dieser Sanierung sind sowohl einige Bauzeichnungen (zwei Ansichten der Westseite sind hier zu sehen) als auch einige Angebote, Standardbauverträge und Rechnungen sowie Auszüge des Schriftwechsels mit der großherzoglich badischen Bauverwaltung überliefert.

Erneuert wurde 1914 auch die Treppenanlage oder zumindest Teile davon. In den Bauunterlagen befindet sich eine Entwurfsskizze zu einem Treppengeländer, das mutmaßlich ausgeführt wurde und nach dem Zeiten Weltkrieg in ähnlicher Weise erneuert wurde, sowie ein Aufriss der Treppe. Das in der Nachkriegszeit industriell nachgefertigte Geländer erhielt ein Plastikband über den Handlauf, das nicht regendicht war und an zahlreichen Stellen Durchrostungen verursacht hat. Die Sandsteintreppe selbst war völlig durchgetreten und unsachgemäß mit stark rostenden Eisenarmierungen und Gesteinsmehl repariert, sodass durch das rostende Metall der Sandstein an zahlreichen Stellen gebrochen ist.

Das Fehlen von Grundrissen bei den überlieferten Unterlagen deutet darauf hin, dass die Gebäudeaufteilung und Innenraumgestaltung bei dieser Renovierung nicht angetastet wurden. Da Gemmingen erst nach dem Ersten Weltkrieg an das Stromnetz angeschlossen wurde und erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine zentrale Wasserversorgung erhielt (Link), wurden bei dieser Renovierung keine infrastrukturellen Verbesserungen vorgenommen. Als der jetzige Eigentümer das Gebäude übernommen hat, gab es noch immer Räume ohne Stromversorgung und im Erdgeschoss Hinweise auf eine Brunnenwasserversorgung und eine Grube hinter dem Haus.

Unterhalb des Küchenfensters befindet sich ein alter Wasserablauf, der, bevor Gemmingen eine eigene Kanalisation bekam, das Abwasser wahrscheinlich direkt in eine hinter dem Haus befindliche Grube einleitete.

Sicher ist jedoch, dass vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Veränderungen im Inneren des Gebäudes vorgenommen wurden. Dies mag damit zusammenhängen, dass das Rentamt wahrscheinlich erstmals in seiner damals schon über dreihundertjährigen Geschichte eine grundlegende Nutzungsänderung erfahren hat.

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